Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
27. Jahrgang (2024) - Ausgabe 4 (April) - ISSN 1619-2389
 

Der robuste Staat - Ein strategischer Rahmen
zur Absicherung gegen Krisen und Katastrophen

 von Prof. Dr. Werner Gleißner

Intention, Bedeutung und Grundidee

Die Zukunft ist nicht sicher vorhersehbar und mit einer Vielzahl von Chancen und Gefahren (Risiken) verbunden. Die Gesamtheit der Lebensrisiken der Menschen ist global seit über 100 Jahren stetig gesunken, wie die steigende Lebenserwartung belegt. Aber es bleiben gravierende Risiken, denen ein Einzelner wenig entgegen setzen kann.

Die Zielsetzung einer „robusten Institution“, z.B. Staat oder Unternehmen, besteht darin, die eigenen Fähigkeiten und Strukturen so auszurichten, dass sie in einer möglichst großen Anzahl risikobedingt möglicher Zukunftsszenarien zumindest überlebt – und möglichst ambitioniertere Sicherheitsziele erreichen kann.

Risikobewältigung und Krisenprävention zielen dabei nicht primär auf Einzelrisiken, sondern den Aufbau von Fähigkeiten und Strukturen mit möglichst umfassender Wirksamkeit gegen eine möglichst breite Klasse von Risikofeldern. Ziel ist auch eine Absicherung gegenüber Risiken, die als solche gar nicht erkannt waren, wie Talebs bekannte Black-Swan-Ereignisse.

Das Konzept „robuster Unternehmen“ ist seit über 20 Jahren bekannt und die Anwendung auf Staaten das Ergebnis eines Forschungsprojekts, in dessen Rahmen nationale und globale Krisen der letzten ca. zwei Jahrhunderte analysiert worden sind. Das Konzept zielt auf eine Reduzierung der negativen, potenziell katastrophalen Wirkungen von extremen Risiken, denen Staaten, ihre Bürger und Unternehmen ausgesetzt sind, die aber wegen einer stark verzerrten Risikowahrnehmung zu wenig Beachtung finden.

Es sind eben nicht die in den Medien stark präsenten Terroranschläge oder Extremwetterereignisse, die in den (meisten) Ländern besonders bedrohlich sind, sondern die Möglichkeit einer Pandemie, der mögliche Ausfall kritischer Infrastruktur (Blackout) oder der Kollaps des Finanzsystems.

Das Spektrum solcher Krisen mit erheblichen makroökonomischen Auswirkungen und potenziell katastrophalen Folgen ist dabei vielfältig: Es reicht von Inflationskrisen (durch zu starke Geldmengen-Expansion) über platzende Asset-Preis-Blasen, Staatsschulden, Währungskrisen und Kriegen bis hin zu schweren Naturkatastrophen und sogenannten Versorgungskrisen, die eine Einschränkung der Produktionsmöglichkeiten darstellen. Zur Gruppe der Versorgungskrisen gehört die Ölkrise der 1970er Jahre ebenso wie eine Pandemie, die zu einer Reduzierung des Angebots und Produktionsausfällen führt.

Besonders schwerwiegend sind insbesondere Krisen, die in Kombination oder in direkter Folge auftreten. Ein Beispiel dafür ist die letzte Wirtschafts- und Finanzkrise von 2007 bis 2009. Ausgehend von einer Asset-Preiskrise (der Subprime-Krise) folgte ein besonders gravierender Krisentyp, nämlich eine Finanzmarkt-Vertrauenskrise, die zu einem weitgehenden Zusammenbruch von Geldmarkt, Banken und Finanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen führte (ausgelöst durch die Insolvenz von Lehman Brothers).

Kritisch sind auch mögliche Krisen, für die Vorbilder weitgehend fehlen, z.B. der Ausfall großer Teile der IT-Welt und dauerhafte Zerstörung großer Datenmengen durch einen „Computer-Super-Virus“ oder ein sehr großer Vulkanausbruch (schlimmstenfalls eines Supervulkans), der die Temperatur auf der Erde z.B. über Jahre um 2 Grad senken könnte – mit katastrophaler Wirkung auf die Ernten.

Die Prinzipien und Leitlinien für einen „robusten Staat“

Nachfolgend skizziert werden die grundlegenden Prinzipien für einen „robusten Staat“, der in der Lage ist, seine Bürger und Unternehmen gegen ein breites Spektrum zukünftig denkbarer Risiken adäquat abzusichern. Ein solcher Staat weist eine hohe Resilienz auf. Die zentrale Bedeutung des Konzepts ergibt sich daraus, dass man gerade die Schaffung von Sicherheit für die eigenen Bürger als primäres Ziel jedes Staates ansehen kann, und sogar als Ursache dafür, dass es die Institution Staat überhaupt gibt.

Die Absicherung gegenüber Risiken, die das Leben – sowie Freiheit und Eigentum – der einzelnen Menschen bedrohen, ist der wohl wichtigste positive externe Effekt der Staatstätigkeit. Diese Sicherheit ist facettenreich. Es ist die Sicherheit, dass Leben und Eigentum sowie Menschen und Grundrechte geschützt sind gegen eine Vielzahl möglicher Bedrohungen – ausgehend von anderen Menschen oder durch (weitgehend) von Menschen unabhängige Risiken (wie Naturkatastrophen).

Absolute Sicherheit kann dabei genauso wenig geboten werden, wie eine Reduzierung sämtlicher Risiken auf Null möglich wäre. Die Welt bleibt unsicher. Ein „angemessener“ Grad an Sicherheit ist unter Berücksichtigung der damit möglicherweise einhergehenden Reduzierung der Freiheit der Menschen und des Bedarfs an volkswirtschaftlichen Ressourcen für die „Produktion von Sicherheit“ zu diskutieren.

In einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat ist die persönliche Freiheit ein ebenso wesentliches Gut wie Sicherheit. Die Knappheit volkswirtschaftlicher Ressourcen macht es zudem erforderlich abzuwägen und anzustreben, dass ein angestrebtes Sicherheitslevel mit einem möglichst niedrigen Einsatz solcher Ressourcen – und damit Steuergeldern – erreicht werden kann.

Das im folgenden Abschnitt erläuterte Konzept eines robusten Staates zielt daher darauf ab, möglichst viele für zahlreiche Menschen relevante Risiken auf ein akzeptables Niveau zu reduzieren und den Ressourcenbedarf dafür möglichst gering zu halten.

Diskutiert werden nachfolgend zentrale Prinzipien für die Absicherung speziell eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats, ohne Messkonzepte für den Erfüllungsgrad zu operationalisieren und zu diskutieren. Es sei angemerkt, dass durch die strategische Aufstellung eines „robusten Staats“ eine präventive Risikobewältigung erreicht wird, die über ...

  • Reduzierung der Eintrittswahrscheinlichkeit und/oder

  • Minderung der erwarteten und realistischerweise maximal möglichen Schäden

... wirksam wird. Unter einem dabei beachteten, für den Staat relevanten Risiko wird hier eines verstanden, das den Staat als Institution oder einen großen Anteil seiner Bürger – bzw. deren Leben, Gesundheit, Rechte oder Einkommen – negativ beeinflusst (Risiken im engeren Sinn, also Gefahren). Als eine Krise wird eine Situation verstanden, in der sich ein derartiges Risiko materialisiert hat – wobei in jedem Krisenstadium die Auswirkungen weiter unsicher bleiben (also eine Unsicherheit der Auswirkungsstärke besteht).

Grundprinzip 1: Ökonomische Stärke und Attraktivität
des Staats für Unternehmen und Menschen

Eine große Leistungsfähigkeit der Wirtschaft eines Staates ist die wichtigste Basis für einen robusten Staat, da die Wirtschaft die Wertschöpfung generiert, die der Staat, z.B. für Krisenprävention, nutzen kann. Ein hohes Pro-Kopf-Einkommen und adäquate Bildung der Bevölkerung erlaubt es dieser, zunächst selbst viele „Lebensrisiken“ zu bewältigen, was zu einer hohen Lebenserwartung führt. Es ist der wichtigste Einflussfaktor auf die Lebenserwartung und diese wiederum erfasst die Gesamtheit aller Lebensrisiken, denen die Menschen ausgesetzt sind, wie Krankheiten oder Unfälle, aber auch die Auswirkungen von Naturkatastrophen.

Der Staat ist gemäß Subsidiaritätsprinzip die „Second-Line-of-Defence“ der Krisen- und Katastrophenprävention, weil jeder Einzelne einen Anreiz haben bzw. erhalten sollte, selbst vorzusorgen, und i.d.R selber am besten weiß, was er für sein „persönliches Risikomanagement“ tun kann (was Entscheidungen, hohe persönliche Risiken einzugehen, wie zu rauchen, oder ein nicht rationales Verhalten durch eine verzerrte Risikowahrnehmung, nicht ausschließt).

Auch ohne eine schwerwiegende, den ganzen Staat betreffende Krise ist der Staat ein wichtiger Baustein der Risikoreduzierung seiner Bürger, z.B. durch sein Gewaltmonopol und das Angebot einer sozialen Absicherung. Letztere ist zudem ein Instrument zur Erhöhung der Robustheit des Staates; zumindest, wenn durch deren Finanzierung und damit die Abgabenbelastung von Unternehmen und Einwohnern Leistungsanreize und die Standortattraktivität nicht negativ beeinflusst werden.

Ein angemessenes soziales Sicherungssystem, das zugleich fördert und fordert, hilft auch Kriminalität zu reduzieren und schützt vor gefährlichen Unruhen in Krisenzeiten, wenn das Markteinkommen vieler Menschen nicht mehr fließt. Das Volkseinkommen (BIP) und das Volksvermögen sind die Basis für eine ausgebaute, robuste Infrastruktur sowie Maßnahmen der Krisenvorbereitung und Bewältigung einer akuten Krise und bestimmen so den verfügbaren Handlungsspielraum, zusammen mit dem verfügbaren technologischen Wissen.

Voraussetzung für eine hohe Leistungsfähigkeit der Wirtschaft ist, dass der Staat gesicherte Rahmenbedingungen anbietet, die ihn attraktiv machen für Unternehmen, Unternehmer und speziell auch hoch qualifizierte Mitarbeiter, von denen mehr ein- als auswandern sollten. Dies wiederum setzt eine marktwirtschaftlich-kapitalistische Wirtschaftsordnung voraus mit klaren Anreizen für wirtschaftliches Handeln und einer Koordination bevorzugt über Märkte – wie die gesamte empirische Evidenz seit Jahrzehnten belegt (siehe z.B. den Erfolg Chinas). Zentrale Elemente sind z.B. gesicherte Eigentumsrechte, Gewerbe- und Vertragsfreiheit, freier Wettbewerb sowie gut ausgebildete Einwohner und die Förderung von Innovationen und technischem Fortschritt, der Wirtschaftswachstum und steigende Lebenserwartung ermöglicht.

Zudem sollte der Staat möglichst durch die Verfassung abgesicherte Regeln haben, die verhindern, dass der Staat selbst zum Risiko wird und makroökonomische Krisen auslöst, z.B. Schulden- oder Inflationskrisen (z.B. durch eine Begrenzung für das „Gelddrucken“ sowie Obergrenzen für Steuerbelastungsquoten und Verschuldung; zumindest außerhalb definierter staatlicher Krisenszenarien).

Ein Staat ist zudem für eine Krise besser gewappnet, wenn seine Ökonomie über bestimmte Fähigkeiten oder kritische Ressourcen (Kernkompetenzen) verfügt, die für Dritte – insbesondere andere Staaten und deren Unternehmen – knapp, wertvoll und kaum substituierbar sind. Dies können ausgeprägte einzigartige und nachhaltig verteidigbare Kernkompetenzen der eigenen Wirtschaft sein, die es ermöglichen auch in einer Krisensituation anderen Staaten etwas für sie „Wertvolles“ und Innovatives zu bieten – um nicht nur auf eine uneigennützige Hilfe durch Dritte hoffen zu müssen.

Grundprinzip 2: Reduzierung vermeidbarer kritischer Abhängigkeiten

Krisen entstehen oft, weil für den normalen Alltag essentielle Faktoren (Güter, Ressourcen etc.) ganz oder teilweise wegfallen, also kritische Abhängigkeiten bestehen (z.B. von Strom, Internet, Regen etc.). Besonders zu beachten sind spezielle Abhängigkeiten von Produkten, die im Ausland hergestellt werden.

In einer globalen und vernetzten Welt ist es nicht sinnvoll, sämtliche Güter in einem Land zu produzieren, und der offene Handel ist ein wesentlicher Treiber der insgesamt sehr positiven wirtschaftlichen Entwicklung auf der Erde in den letzten Jahrzehnten. Globale und nationale Arbeitsteilung ist wohlstandssteigernd über Größendegressions- und Spezialisierungsvorteile.

Abhängigkeiten, die dadurch entstehen, sollten jedoch systematisch analysiert und – wo möglich – reduziert oder gar vermieden werden. Eine kritische Abhängigkeit ist dabei eine solche, wenn für die eigene Wirtschaft und die Bürger wesentliche Güter von nur einem oder sehr wenigen, nicht substituierbaren Anbietern bereitgestellt werden (z.B. ein einziges Werk für einen Arzneimittelwirkstoff in einem Land wie China). In solchen Fällen ist der Aufbau eigener Produktionskapazitäten im eigenen Staat zu prüfen (oder gegebenenfalls zusammen mit Partnerstaaten).

Kritische Abhängigkeiten bestehen dabei nicht nur im Bereich Ernährung (Landwirtschaft) und Energieversorgung, sondern bei einer Vielzahl weiterer materieller Güter (von Öl und Gas über Kupfer, Lithium und Neodym bis hin zu Phosphaten). Abhängigkeiten von Bedeutung können aber auch immaterieller Art sein (Abhängigkeit von Daten, Netzwerken oder monopolartigen Unternehmen der „Digitalwirtschaft“).

Bedrohung durch kritische Abhängigkeiten sind vielfältig und gehen vom Handelsembargo eines Lieferanten, über Cyber-Attacken bis hin zur materiellen Zerstörung der für die Energieversorgung wichtigen Infrastruktur (z.B. Wasserwerke, Kraftwerke oder Teilen des Hochspannungsübertragungsnetzes).

Ansatzpunkte für die Reduzierung von Abhängigkeiten lassen sich oft leicht erkennen. So ist z.B. klar, dass eine Abhängigkeit von nur einem Energieträger riskanter ist, als ein dezentral verfügbarer Energieangebotsmix, der erneuerbare Energien, Öl, Gas, Kohle und Kernenergie einschließt. Offensichtlich reduziert es auch eine kritische Abhängigkeit, wenn Polizeiautos einen hybriden Antrieb haben und im Einsatz nicht nur von der Verfügbarkeit von Strom abhängig sind.

Seit Jahrtausenden ist es ein zentraler Aspekt der Prävention gegenüber Krisen und Katastrophen, die Menschen unabhängiger zu machen von zufälligen und exogenen Einflüssen der Natur (wie z.B. Wetter). Potenziale für eine weitere Reduzierung solcher Abhängigkeit, z.B. in der Landwirtschaft, sind vielfältig und weiter ausbaufähig (z.B. durch Bewässerung, gezielte Düngung, Gewächshäuser oder Erhöhung der Widerstandsfähigkeit und Produktivität der Pflanzen selbst, also z.B. durch „grüne Gentechnik“).

Auch finanzielle Abhängigkeiten sind hier zu betrachten, z.B. von ausländischen Aktionären in Schlüsselunternehmen Kreditgebern oder einer „fremden“ Währung. Ein großer Vorteil für ein Land besteht darin, wenn es in der Lage ist, sich in seiner eigenen, von ihm alleine kontrollierten Währung zu verschulden, und auch ausländische Investoren diese Währung akzeptieren (was heute insbesondere für die USA zutrifft).

Bei allen auch erkennbaren ökonomischen Vorteilen stellt eine Gemeinschaftswährung, wie der Euro, mit einer vom einzelnen Staat nicht kontrollierten zentralen Institution, der Europäischen Zentralbank (EZB), eine Risikoquelle dar, die die Robustheit eines Staates ceteris paribus reduziert. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Einfluss des eigenen Landes nicht ausreicht, um eigene Interessen durchzusetzen, und der diskretionäre Handlungsspielraum der Zentralbank hoch ist.

Grundprinzip 3: Bereitstellen universell einsetzbarer
Ressourcen der Krisenbewältigung

Möglichst flexibel und universell einsetzbare Ressourcen, d.h. Personen und zugehöriges Material, sind geeignet, eine Vielzahl im Einzelnen z.T. nicht einmal vorhersehbarer Risiken und daraus resultierende Krisen besser zu bewältigen. Ein Beispiel für solche Ressourcen sind die Streitkräfte eines Landes. Sie dienen nicht nur der Landesverteidigung und militärischen Einsätzen in anderen Ländern. Ihre Fähigkeiten erlauben die Unterstützung der Polizei bei internen Sicherungsaufgaben in einer schweren Krise, z.B. bei der Sicherung kritischer Infrastruktur (Kraftwerke etc.).

Die Streitkräfte haben darüber hinaus bei vielen Krisen wichtige Transportkapazität, medizinische Einrichtungen, Ersatzteile und Vorräte, technische Instandhaltungskapazität und personelle Ressourcen, um z.B. bei Naturkatastrophen aushelfen zu können. Sie ermöglichen zudem die Grenzsicherung und nötigenfalls die Durchsetzung von Zwangsmaßnahmen im Inneren, wenn dies die Polizei alleine nicht mehr gewährleisten kann (beispielsweise Durchsetzung von Ausgangsverboten bei einer Epidemie). Eine signifikante Mobilisierungsreserve für eine Krise ist sinnvoll.

Grundprinzip 4: Aufbau von Ressourcenreserven und Redundanzen

Da der Bedarf an vielen Ressourcen in der Krise zunimmt, sind angemessene „Mobilisierungsreserven“ sinnvoll, also der Einsatz von Ressourcen (inklusive Personal), die in einer normalen „Nichtkrisenzeit“ anders eingesetzt werden, aber in Krisenzeiten zur Krisenbewältigung eingesetzt werden können (z.B. in Polizei, Militär, Technischem Hilfswerk oder Gesundheitswesen). Die Dimensionierung dieser Ressourcen nur auf den „Normalfall“ abzustellen, ist unzureichend.

Die redundante Auslegung kritischer Ressourcen und Systeme ist ergänzend geeignet, um dem möglichen Ausfall eines Systems zu begegnen (was auch der Reduzierung kritischer Abhängigkeiten dient). Redundanzen schaffen auch die erwähnten Kapazitätsreserven, die in Krisensituationen wichtig sind. Redundanzen können dabei einfach technischer Natur sein, wie z.B. der schon erwähnte Hybridantrieb bei Polizeiautos, um die Abhängigkeit von der Stromversorgung zu reduzieren.

Auch die Auslegung z.B. von Hochspannungsübertragungsnetzen für den Ausfall einzelner Komponenten, ist ein Ansatz für die Schaffung von Redundanz, ebenso wie die Sicherstellung der Versorgung mit Gas über (mehrere) Pipelines und zugleich Hafenterminals für LNG-Tankschiffe. Auch die Bereitstellung von Reserven für Kraftwerke für Strom oder von „Ausweichsitzen“ für Regierungsbehörden dient der Schaffung von Redundanz, die wiederum die Ausfallsicherheit von kritischen Systemen erhöht und im Krisenfall Zusatzkapazitäten verfügbar hält.

Grundprinzip 5: Ausreichende Vorräte an wichtigen Gütern

Krisen können entstehen, weil für einen Staat und seine Bürger wesentliche Güter nicht mehr in ausreichender Qualität oder Menge verfügbar sind (z.B. wegen Problemen aus kritischen Abhängigkeiten). Der Bedarf an manchen wichtigen Gütern steigt und zugleich kann das Angebot sinken. Vorräte schaffen Zeit, um bei einem Versorgungsengpass eine alternative Versorgungsquelle zu finden oder ausgefallene Produktionskapazitäten wieder zu errichten.

Gerade zur Bewältigung einer Vielzahl von Krisen ist ein oft massiv erhöhter Bedarf an bestimmten Gütern zu erwarten, die entsprechend für eine derartige Krisensituation schon vorab in adäquater Menge sicher bevorratet werden müssen. Neben Lebensmitteln und in manchen Krisen erforderlichen medizinischen Geräten und Verbrauchsgütern sind hier insbesondere die Energieträger (Öl, Benzin und Gas) zu nennen.

Grundprinzip 6: Hohe finanzielle Flexibilität und Bonität

Der Einsatz von Ressourcen, Gütern und Geld in einer Krise, z.B. die Beschaffung notwendiger Güter, die wirtschaftliche Stabilisierung von Banken oder anderen Unternehmen und die wirtschaftliche Absicherung von Bürgern erfordert Finanzmittel, die die laufenden Steuereinnahmen meist weit überschreiten.

Bankenkrisen lassen sich z.B. nur durch massiven Einsatz von Kapital und Bürgschaften lösen. Um diese in einer Krise aufbieten zu können, ist ein adäquater finanzieller Spielraum erforderlich, d.h. die Verschuldung vor der Krise sollte ein kritisches Level bezogen auf das Volkseinkommen nicht überschreiten.

Das Rating eines Unternehmens ist ein geeignetes Maß für diese „finanzielle Robustheit“. Für einen adäquaten finanziellen Handlungsspielraum in einer Krise benötigt ein Staat im Minimum ein Investmentgrade-Rating (BBB- oder besser), möglichst aber ein wirkliches „Top-Rating“ (AAA, AA). Auch der präventive Aufbau von Kapitalreserven, z.B. in Form eines Staatsfonds, und die Verfügbarkeit von Goldreserven ist hier ergänzend nützlich.

Grundprinzip 7: Aufbau von Brandmauern

Grundsätzlich für einen robusten Staat erforderlich ist es, dass er seine Außengrenze – auch an Flughäfen – gegenüber unwillkommenen, unbefugten eindringenden Personen schützen kann. Bei manchen Krisen ist es zudem notwendig, auch im Inneren des Staates „Brandmauern“ errichten und sichern zu können. Solche sind z.B. erforderlich, um beim Ausfall eines Teils des Stromnetzes zu verhindern, dass die Stromversorgung im gesamten Land zusammenbricht. Oder bei Epidemien, um bestimmte bereits infizierte Regionen so „abschotten“ zu können, dass eine Ausbreitung der Infektion auf andere Landesteile verhindert wird.

Grundprinzip 8: Robuste Rechtsordnung und Krisen-Governance

Krisen sind Situationen, in denen unter hohem Zeitdruck und mit unvollständigen Informationen schnell und oft über harte Maßnahmen entschieden werden muss. Entsprechend ist zu regeln, wer in welcher Konstellation Entscheidungsbefugnisse hat und welche „Eskalationsstufen“ unter bestimmten Bedingungen akzeptabel erscheinen.

In einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat ist es hier erforderlich, vor einer Krise präzise zu durchdenken und zu regeln, wie in einer Krisensituation eine Konzentration von Entscheidungsbefugnis, mit einer Reduzierung von Abstimmungsschleifen, vonstattengeht (ohne, dass dadurch in unangemessener Weise Rechte und Freiheiten der Bürger eingeschränkt oder Kontrollinstanzen grundsätzlich ausgehebelt werden). Die sogenannte „Notstandsverfassung“ im deutschen Grundgesetz ist ein Beispiel, wenngleich diese bisher nur auf einen spezifischen Krisentyp – Krieg – ausgerichtet ist.

Ein wichtiger Aspekt der Krisen-Governance besteht in Regelungen, die die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung selbst sichern. Gerade reale – oder auch einfach vorgegebene – Krisensituationen stellen nämlich eine Bedrohung für einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat dar, weil eine Krise potenziell missbraucht werden könnte: Es besteht die Gefahr, dass der freiheitliche Rechtsstaat unterhöhlt wird (durch die Einschränkung der Rechte Einzelner und die Konzentration der Macht auf Wenige).

Ein robuster Staat muss die Verfassung so formulieren, dass ein Machtmissbrauch durch Einzelne oder Gruppen oder gar eine Umwandlung in eine Diktatur möglichst unwahrscheinlich ist (z.B. durch Gewaltenteilung und Check-and-Balances-Regeln). Auch in einer Krise müssen geeignete parlamentarische Kontrollmechanismen existieren, die die Angemessenheit der Beschränkungen der Freiheit der Bürger sicherstellen und Machtmissbrauch verhindern.

Grundprinzip 9: Stabile Bündnisse und Partnerschaft

Kooperation und Bündnisse mit anderen Staaten, auf die man sich in einer Krise (weitgehend) verlassen kann, helfen potenziell die Robustheit zu verbessern. Kooperationsverträge, Bündnisse und der Beitritt zu Staatengemeinschaften, wie der EU, können nämlich helfen, im Fall einer Krise auf Unterstützung und Ressourcen anderer Staaten zugreifen zu können, was eine breitere Ressourcenbasis und eine internationale Risikostreuung ermöglicht. Die Wirksamkeit solcher Partnerschaften ist hoch, wenn nicht alle Partnerstaaten von einer Krise gleichzeitig betroffen sind.

In einer gravierenden Krisensituation kann nicht einfach davon ausgegangen werden, dass sich andere relevante Institutionen, speziell andere Staaten, so verhalten würden, als gäbe es keine Krise. Ein robuster Staat muss also im Rahmen seiner Risiko- und Krisenbewältigungsstrategie auch durchdenken, wie in bestimmten Krisentypen Partner und auch „Gegner“ reagieren könnten – und dies in der eigenen Krisenbewältigungsstrategie berücksichtigen. Kann man also z.B. tatsächlich auf die Unterstützung eines befreundeten Staates hoffen, wenn dieser selbst massiv von der Krise betroffen ist? Ist zu befürchten, dass ein anderer Staat die eigene Krise systematisch ausnutzt und z.B. unvorteilhafte Verträge durchsetzt.

Grundprinzip 10: Vermeidung größerer
Bürgschaften und Haftungsverbunde

Die Zusammenarbeit zwischen Staaten, speziell Staatenbündnisse, sind vorteilhaft für die Robustheit – sofern sie auch in einer Krise als belastbar angesehen werden. Die Robustheit eines Staates leidet jedoch, wenn hierdurch kritische Abhängigkeiten entstehen, insbesondere durch Risiko- oder Haftungsverbunde.

Entsprechend sollte die Haftung für Schulden Dritter, insbesondere anderer Staaten oder deren Institutionen (wie Kreditinstitute), ebenso wie die Haftung für gemeinsame Schulden vermieden werden. Insbesondere Schulden- und Finanzmarktkrisen anderer Staaten werden sonst leicht zu einem Problem für das eigene Land.

Aus der politischen Ökonomie ist zudem bekannt, dass die Bereitschaft eines Schuldners seine Schulden zu erhöhen, zunimmt, wenn dieser davon ausgehen kann, dass ein Dritter diese zumindest teilweise übernimmt und dafür haftet („Moral Hazard“).

Grundprinzip 11: Krisenvorbereitung durch Risikoanalysen,
Krisenpläne und Krisenübungen

Die Risikolage eines Staates und seiner Bürger ist komplex und ändert sich zudem im Zeitverlauf. Notwendig ist eine fundierte strukturierte und priorisierte (quantitative) Risikoanalyse und eine darauf aufbauende konkrete Risikobewältigungsstrategie, die die hier skizzierten Grundprinzipien nutzt, d.h. diese präzisiert und in konkrete Überlegungen und Maßnahmen umsetzt.

Neben einer grundsätzlichen Verbesserung der Robustheit ist dabei die Entwicklung konkreter Pläne für bestimmte Krisentypen sinnvoll („präventives Krisenmanagement“). Die Wirksamkeit solcher Krisenmanagement-Aktivitäten ist nur dann zu erwarten, wenn diese im adäquaten Umfang geschult und Krisen in Übungen trainiert werden.

Grundprinzip 12: Flexibilität und adäquate Krisenkommunikation

Hohe Flexibilität ist in einer Krise vorteilhaft, weil Krisen eine hohe Dynamik und unvorhergesehene Entwicklungen aufweisen werden. Flexibilität bedeutet, sich nicht alleine auf bestimmte – wenngleich wichtige – „Krisenpläne“ zu verlassen, weil der konkrete Ablauf einer risikobedingten Krise anders sein wird, als dies in der Planung gedacht war.

Flexibilität bedeutet z.B., dass schnell auf aktuelle Situationen reagiert werden kann, und dass z.B. auch personelle Ressourcen aus einem Tätigkeitsfeld (z.B. des Staates) bei Bedarf schnell auf einen anderen Tätigkeitsbedarf verschoben werden können (z.B. von Steuerwesen und allgemeiner Verwaltung in Transport- oder Gesundheitswesen). Es bedeutet auch, dass Vorschriften, wie z.B. Arbeitszeitregelungen oder Sicherheitsstandards temporär aufgehoben oder zumindest modifiziert werden können. Flexibilität setzt nicht nur klare Entscheidungskompetenzregelungen voraus, sondern zudem in vielen Fällen auch ein adäquates Maß an Schulung für einen Krisen- oder Notfall.

Neben Flexibilität des Krisenmanagements selbst ist auch eine schnelle und flexibel an die aktuelle Situation angepasste Kommunikation mit den Bürgern wesentlich und adäquat vorzubereiten. In einer Krise ist im Allgemeinen weder Panik noch Sorglosigkeit bei den Bürgern angemessen, Maßnahmen der Regierung sind zu erläutern und das Vertrauen in die Aussage der staatlichen Stellen zu sichern (also nicht einfach beschönigen, wo die unschöne Realität der Krise schnell offenkundig werden wird).

Fazit und Implikationen

Die hier skizzierten Leitlinien für einen robusten Staat zeigen das Grundgerüst, das bei der Diskussion zur Verbesserung der Robustheit (oder Resilienz) eines Staates – auf dem Weg zum Angebot einer adäquaten Sicherheit für seine Bürger – zu durchdenken ist. Sie bieten auch einen Rahmen dafür, die aktuelle Robustheit eines Staates zu beurteilen und systematisch Handlungsbedarf aufzuzeigen. Dies erscheint insbesondere deshalb wichtig, da die allgemeine politische Diskussion eben doch primär von eher kurzfristigen „Modethemen“ geprägt ist und wesentliche Risiken verdrängt werden.

Die hier skizzierten Aspekte haben grundlegende Bedeutung für einen Staat und sollten losgelöst vom politischen Tagesgeschäft zentraler Aspekt der Agenda eines Politikers sein, der sich tatsächlich als „Staatsmann“ sieht. Die politische Ökonomie (Public Choice) zeigt bedauerlicherweise, dass Maßnahmen zur Steigerung der Robustheit eines Staates in einer Demokratie nicht unbedingt mehr Wählerstimmen bringen. Viele bedeutende Risiken sowie potenzielle Krisen und Katastrophen, die Anfälligkeit kritischer Infrastruktur oder Pandemien, werden systematisch unterschätzt.

Die sofort anfallenden Kosten für bestimmte Maßnahmen zur Stärkung der Robustheit – z.B. die adäquate Ausstattung der Streitkräfte oder des Gesundheitswesens – sind sofort offenkundig. Die gravierenden Schäden, wenn diese Investitionen nicht getätigt werden, liegen aber in einer unsicheren und möglicherweise sogar ferneren Zukunft.

Für die Zukunftsfähigkeit eines Staates, und insbesondere die Fähigkeit zum Schutz seiner Bürger und Unternehmen, ist es entsprechend entscheidend, ob die hier skizzierten Leitgedanken – Verbesserung der Robustheit – mit adäquater Priorität auf der politischen Agenda Berücksichtigung finden.

Wenn erst eine gravierende Krise eingetreten ist, müssen sich der Staat und seine Bürger mit dem abfinden, was an Prävention und Krisenrobustheit bereits erreicht wurde. Leider steht zu befürchten, dass man oft feststellen wird, dass zu wenig getan wurde – so dass man dann eine Krise nur noch als Chance auffassen kann, wenigstens aus dieser Erfahrung zu lernen und die Robustheit des Staates danach konsequent verbessert wird.

Autor

Prof. Dr. Werner Gleißner
FutureValue Group AG
- Vorstand -
Obere Gärten 18
D-70771 Leinfelden-Echterdingen
Telefon: +49 (0)711 79 73 58 - 30
Telefax: +49 (0)711 79 73 58 - 58
Internet: www.futurevalue.de
E-Mail: w.gleissner@futurevalue.de

Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
23. Jahrgang (2020), Ausgabe 4 (April)


Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
© Krisennavigator 1998-2024. Alle Rechte vorbehalten. ISSN 1619-2389.
Internet:
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Intention, Bedeutung und Grundidee

Die Zukunft ist nicht sicher vorhersehbar und mit einer Vielzahl von Chancen und Gefahren (Risiken) verbunden. Die Gesamtheit der Lebensrisiken der Menschen ist global seit über 100 Jahren stetig gesunken, wie die steigende Lebenserwartung belegt. Aber es bleiben gravierende Risiken, denen ein Einzelner wenig entgegen setzen kann.

Die Zielsetzung einer „robusten Institution“, z.B. Staat oder Unternehmen, besteht darin, die eigenen Fähigkeiten und Strukturen so auszurichten, dass sie in einer möglichst großen Anzahl risikobedingt möglicher Zukunftsszenarien zumindest überlebt – und möglichst ambitioniertere Sicherheitsziele erreichen kann.

Risikobewältigung und Krisenprävention zielen dabei nicht primär auf Einzelrisiken, sondern den Aufbau von Fähigkeiten und Strukturen mit möglichst umfassender Wirksamkeit gegen eine möglichst breite Klasse von Risikofeldern. Ziel ist auch eine Absicherung gegenüber Risiken, die als solche gar nicht erkannt waren, wie Talebs bekannte Black-Swan-Ereignisse.

Das Konzept „robuster Unternehmen“ ist seit über 20 Jahren bekannt und die Anwendung auf Staaten das Ergebnis eines Forschungsprojekts, in dessen Rahmen nationale und globale Krisen der letzten ca. zwei Jahrhunderte analysiert worden sind. Das Konzept zielt auf eine Reduzierung der negativen, potenziell katastrophalen Wirkungen von extremen Risiken, denen Staaten, ihre Bürger und Unternehmen ausgesetzt sind, die aber wegen einer stark verzerrten Risikowahrnehmung zu wenig Beachtung finden.

Es sind eben nicht die in den Medien stark präsenten Terroranschläge oder Extremwetterereignisse, die in den (meisten) Ländern besonders bedrohlich sind, sondern die Möglichkeit einer Pandemie, der mögliche Ausfall kritischer Infrastruktur (Blackout) oder der Kollaps des Finanzsystems.

Das Spektrum solcher Krisen mit erheblichen makroökonomischen Auswirkungen und potenziell katastrophalen Folgen ist dabei vielfältig: Es reicht von Inflationskrisen (durch zu starke Geldmengen-Expansion) über platzende Asset-Preis-Blasen, Staatsschulden, Währungskrisen und Kriegen bis hin zu schweren Naturkatastrophen und sogenannten Versorgungskrisen, die eine Einschränkung der Produktionsmöglichkeiten darstellen. Zur Gruppe der Versorgungskrisen gehört die Ölkrise der 1970er Jahre ebenso wie eine Pandemie, die zu einer Reduzierung des Angebots und Produktionsausfällen führt.

Besonders schwerwiegend sind insbesondere Krisen, die in Kombination oder in direkter Folge auftreten. Ein Beispiel dafür ist die letzte Wirtschafts- und Finanzkrise von 2007 bis 2009. Ausgehend von einer Asset-Preiskrise (der Subprime-Krise) folgte ein besonders gravierender Krisentyp, nämlich eine Finanzmarkt-Vertrauenskrise, die zu einem weitgehenden Zusammenbruch von Geldmarkt, Banken und Finanzierungsmöglichkeiten der Unternehmen führte (ausgelöst durch die Insolvenz von Lehman Brothers).

Kritisch sind auch mögliche Krisen, für die Vorbilder weitgehend fehlen, z.B. der Ausfall großer Teile der IT-Welt und dauerhafte Zerstörung großer Datenmengen durch einen „Computer-Super-Virus“ oder ein sehr großer Vulkanausbruch (schlimmstenfalls eines Supervulkans), der die Temperatur auf der Erde z.B. über Jahre um 2 Grad senken könnte – mit katastrophaler Wirkung auf die Ernten.

Die Prinzipien und Leitlinien für einen „robusten Staat“

Nachfolgend skizziert werden die grundlegenden Prinzipien für einen „robusten Staat“, der in der Lage ist, seine Bürger und Unternehmen gegen ein breites Spektrum zukünftig denkbarer Risiken adäquat abzusichern. Ein solcher Staat weist eine hohe Resilienz auf. Die zentrale Bedeutung des Konzepts ergibt sich daraus, dass man gerade die Schaffung von Sicherheit für die eigenen Bürger als primäres Ziel jedes Staates ansehen kann, und sogar als Ursache dafür, dass es die Institution Staat überhaupt gibt.

Die Absicherung gegenüber Risiken, die das Leben – sowie Freiheit und Eigentum – der einzelnen Menschen bedrohen, ist der wohl wichtigste positive externe Effekt der Staatstätigkeit. Diese Sicherheit ist facettenreich. Es ist die Sicherheit, dass Leben und Eigentum sowie Menschen und Grundrechte geschützt sind gegen eine Vielzahl möglicher Bedrohungen – ausgehend von anderen Menschen oder durch (weitgehend) von Menschen unabhängige Risiken (wie Naturkatastrophen).

Absolute Sicherheit kann dabei genauso wenig geboten werden, wie eine Reduzierung sämtlicher Risiken auf Null möglich wäre. Die Welt bleibt unsicher. Ein „angemessener“ Grad an Sicherheit ist unter Berücksichtigung der damit möglicherweise einhergehenden Reduzierung der Freiheit der Menschen und des Bedarfs an volkswirtschaftlichen Ressourcen für die „Produktion von Sicherheit“ zu diskutieren.

In einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat ist die persönliche Freiheit ein ebenso wesentliches Gut wie Sicherheit. Die Knappheit volkswirtschaftlicher Ressourcen macht es zudem erforderlich abzuwägen und anzustreben, dass ein angestrebtes Sicherheitslevel mit einem möglichst niedrigen Einsatz solcher Ressourcen – und damit Steuergeldern – erreicht werden kann.

Das im folgenden Abschnitt erläuterte Konzept eines robusten Staates zielt daher darauf ab, möglichst viele für zahlreiche Menschen relevante Risiken auf ein akzeptables Niveau zu reduzieren und den Ressourcenbedarf dafür möglichst gering zu halten.

Diskutiert werden nachfolgend zentrale Prinzipien für die Absicherung speziell eines freiheitlich-demokratischen Rechtsstaats, ohne Messkonzepte für den Erfüllungsgrad zu operationalisieren und zu diskutieren. Es sei angemerkt, dass durch die strategische Aufstellung eines „robusten Staats“ eine präventive Risikobewältigung erreicht wird, die über ...

... wirksam wird. Unter einem dabei beachteten, für den Staat relevanten Risiko wird hier eines verstanden, das den Staat als Institution oder einen großen Anteil seiner Bürger – bzw. deren Leben, Gesundheit, Rechte oder Einkommen – negativ beeinflusst (Risiken im engeren Sinn, also Gefahren). Als eine Krise wird eine Situation verstanden, in der sich ein derartiges Risiko materialisiert hat – wobei in jedem Krisenstadium die Auswirkungen weiter unsicher bleiben (also eine Unsicherheit der Auswirkungsstärke besteht).

Grundprinzip 1: Ökonomische Stärke und Attraktivität
des Staats für Unternehmen und Menschen

Eine große Leistungsfähigkeit der Wirtschaft eines Staates ist die wichtigste Basis für einen robusten Staat, da die Wirtschaft die Wertschöpfung generiert, die der Staat, z.B. für Krisenprävention, nutzen kann. Ein hohes Pro-Kopf-Einkommen und adäquate Bildung der Bevölkerung erlaubt es dieser, zunächst selbst viele „Lebensrisiken“ zu bewältigen, was zu einer hohen Lebenserwartung führt. Es ist der wichtigste Einflussfaktor auf die Lebenserwartung und diese wiederum erfasst die Gesamtheit aller Lebensrisiken, denen die Menschen ausgesetzt sind, wie Krankheiten oder Unfälle, aber auch die Auswirkungen von Naturkatastrophen.

Der Staat ist gemäß Subsidiaritätsprinzip die „Second-Line-of-Defence“ der Krisen- und Katastrophenprävention, weil jeder Einzelne einen Anreiz haben bzw. erhalten sollte, selbst vorzusorgen, und i.d.R selber am besten weiß, was er für sein „persönliches Risikomanagement“ tun kann (was Entscheidungen, hohe persönliche Risiken einzugehen, wie zu rauchen, oder ein nicht rationales Verhalten durch eine verzerrte Risikowahrnehmung, nicht ausschließt).

Auch ohne eine schwerwiegende, den ganzen Staat betreffende Krise ist der Staat ein wichtiger Baustein der Risikoreduzierung seiner Bürger, z.B. durch sein Gewaltmonopol und das Angebot einer sozialen Absicherung. Letztere ist zudem ein Instrument zur Erhöhung der Robustheit des Staates; zumindest, wenn durch deren Finanzierung und damit die Abgabenbelastung von Unternehmen und Einwohnern Leistungsanreize und die Standortattraktivität nicht negativ beeinflusst werden.

Ein angemessenes soziales Sicherungssystem, das zugleich fördert und fordert, hilft auch Kriminalität zu reduzieren und schützt vor gefährlichen Unruhen in Krisenzeiten, wenn das Markteinkommen vieler Menschen nicht mehr fließt. Das Volkseinkommen (BIP) und das Volksvermögen sind die Basis für eine ausgebaute, robuste Infrastruktur sowie Maßnahmen der Krisenvorbereitung und Bewältigung einer akuten Krise und bestimmen so den verfügbaren Handlungsspielraum, zusammen mit dem verfügbaren technologischen Wissen.

Voraussetzung für eine hohe Leistungsfähigkeit der Wirtschaft ist, dass der Staat gesicherte Rahmenbedingungen anbietet, die ihn attraktiv machen für Unternehmen, Unternehmer und speziell auch hoch qualifizierte Mitarbeiter, von denen mehr ein- als auswandern sollten. Dies wiederum setzt eine marktwirtschaftlich-kapitalistische Wirtschaftsordnung voraus mit klaren Anreizen für wirtschaftliches Handeln und einer Koordination bevorzugt über Märkte – wie die gesamte empirische Evidenz seit Jahrzehnten belegt (siehe z.B. den Erfolg Chinas). Zentrale Elemente sind z.B. gesicherte Eigentumsrechte, Gewerbe- und Vertragsfreiheit, freier Wettbewerb sowie gut ausgebildete Einwohner und die Förderung von Innovationen und technischem Fortschritt, der Wirtschaftswachstum und steigende Lebenserwartung ermöglicht.

Zudem sollte der Staat möglichst durch die Verfassung abgesicherte Regeln haben, die verhindern, dass der Staat selbst zum Risiko wird und makroökonomische Krisen auslöst, z.B. Schulden- oder Inflationskrisen (z.B. durch eine Begrenzung für das „Gelddrucken“ sowie Obergrenzen für Steuerbelastungsquoten und Verschuldung; zumindest außerhalb definierter staatlicher Krisenszenarien).

Ein Staat ist zudem für eine Krise besser gewappnet, wenn seine Ökonomie über bestimmte Fähigkeiten oder kritische Ressourcen (Kernkompetenzen) verfügt, die für Dritte – insbesondere andere Staaten und deren Unternehmen – knapp, wertvoll und kaum substituierbar sind. Dies können ausgeprägte einzigartige und nachhaltig verteidigbare Kernkompetenzen der eigenen Wirtschaft sein, die es ermöglichen auch in einer Krisensituation anderen Staaten etwas für sie „Wertvolles“ und Innovatives zu bieten – um nicht nur auf eine uneigennützige Hilfe durch Dritte hoffen zu müssen.

Grundprinzip 2: Reduzierung vermeidbarer kritischer Abhängigkeiten

Krisen entstehen oft, weil für den normalen Alltag essentielle Faktoren (Güter, Ressourcen etc.) ganz oder teilweise wegfallen, also kritische Abhängigkeiten bestehen (z.B. von Strom, Internet, Regen etc.). Besonders zu beachten sind spezielle Abhängigkeiten von Produkten, die im Ausland hergestellt werden.

In einer globalen und vernetzten Welt ist es nicht sinnvoll, sämtliche Güter in einem Land zu produzieren, und der offene Handel ist ein wesentlicher Treiber der insgesamt sehr positiven wirtschaftlichen Entwicklung auf der Erde in den letzten Jahrzehnten. Globale und nationale Arbeitsteilung ist wohlstandssteigernd über Größendegressions- und Spezialisierungsvorteile.

Abhängigkeiten, die dadurch entstehen, sollten jedoch systematisch analysiert und – wo möglich – reduziert oder gar vermieden werden. Eine kritische Abhängigkeit ist dabei eine solche, wenn für die eigene Wirtschaft und die Bürger wesentliche Güter von nur einem oder sehr wenigen, nicht substituierbaren Anbietern bereitgestellt werden (z.B. ein einziges Werk für einen Arzneimittelwirkstoff in einem Land wie China). In solchen Fällen ist der Aufbau eigener Produktionskapazitäten im eigenen Staat zu prüfen (oder gegebenenfalls zusammen mit Partnerstaaten).

Kritische Abhängigkeiten bestehen dabei nicht nur im Bereich Ernährung (Landwirtschaft) und Energieversorgung, sondern bei einer Vielzahl weiterer materieller Güter (von Öl und Gas über Kupfer, Lithium und Neodym bis hin zu Phosphaten). Abhängigkeiten von Bedeutung können aber auch immaterieller Art sein (Abhängigkeit von Daten, Netzwerken oder monopolartigen Unternehmen der „Digitalwirtschaft“).

Bedrohung durch kritische Abhängigkeiten sind vielfältig und gehen vom Handelsembargo eines Lieferanten, über Cyber-Attacken bis hin zur materiellen Zerstörung der für die Energieversorgung wichtigen Infrastruktur (z.B. Wasserwerke, Kraftwerke oder Teilen des Hochspannungsübertragungsnetzes).

Ansatzpunkte für die Reduzierung von Abhängigkeiten lassen sich oft leicht erkennen. So ist z.B. klar, dass eine Abhängigkeit von nur einem Energieträger riskanter ist, als ein dezentral verfügbarer Energieangebotsmix, der erneuerbare Energien, Öl, Gas, Kohle und Kernenergie einschließt. Offensichtlich reduziert es auch eine kritische Abhängigkeit, wenn Polizeiautos einen hybriden Antrieb haben und im Einsatz nicht nur von der Verfügbarkeit von Strom abhängig sind.

Seit Jahrtausenden ist es ein zentraler Aspekt der Prävention gegenüber Krisen und Katastrophen, die Menschen unabhängiger zu machen von zufälligen und exogenen Einflüssen der Natur (wie z.B. Wetter). Potenziale für eine weitere Reduzierung solcher Abhängigkeit, z.B. in der Landwirtschaft, sind vielfältig und weiter ausbaufähig (z.B. durch Bewässerung, gezielte Düngung, Gewächshäuser oder Erhöhung der Widerstandsfähigkeit und Produktivität der Pflanzen selbst, also z.B. durch „grüne Gentechnik“).

Auch finanzielle Abhängigkeiten sind hier zu betrachten, z.B. von ausländischen Aktionären in Schlüsselunternehmen Kreditgebern oder einer „fremden“ Währung. Ein großer Vorteil für ein Land besteht darin, wenn es in der Lage ist, sich in seiner eigenen, von ihm alleine kontrollierten Währung zu verschulden, und auch ausländische Investoren diese Währung akzeptieren (was heute insbesondere für die USA zutrifft).

Bei allen auch erkennbaren ökonomischen Vorteilen stellt eine Gemeinschaftswährung, wie der Euro, mit einer vom einzelnen Staat nicht kontrollierten zentralen Institution, der Europäischen Zentralbank (EZB), eine Risikoquelle dar, die die Robustheit eines Staates ceteris paribus reduziert. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Einfluss des eigenen Landes nicht ausreicht, um eigene Interessen durchzusetzen, und der diskretionäre Handlungsspielraum der Zentralbank hoch ist.

Grundprinzip 3: Bereitstellen universell einsetzbarer
Ressourcen der Krisenbewältigung

Möglichst flexibel und universell einsetzbare Ressourcen, d.h. Personen und zugehöriges Material, sind geeignet, eine Vielzahl im Einzelnen z.T. nicht einmal vorhersehbarer Risiken und daraus resultierende Krisen besser zu bewältigen. Ein Beispiel für solche Ressourcen sind die Streitkräfte eines Landes. Sie dienen nicht nur der Landesverteidigung und militärischen Einsätzen in anderen Ländern. Ihre Fähigkeiten erlauben die Unterstützung der Polizei bei internen Sicherungsaufgaben in einer schweren Krise, z.B. bei der Sicherung kritischer Infrastruktur (Kraftwerke etc.).

Die Streitkräfte haben darüber hinaus bei vielen Krisen wichtige Transportkapazität, medizinische Einrichtungen, Ersatzteile und Vorräte, technische Instandhaltungskapazität und personelle Ressourcen, um z.B. bei Naturkatastrophen aushelfen zu können. Sie ermöglichen zudem die Grenzsicherung und nötigenfalls die Durchsetzung von Zwangsmaßnahmen im Inneren, wenn dies die Polizei alleine nicht mehr gewährleisten kann (beispielsweise Durchsetzung von Ausgangsverboten bei einer Epidemie). Eine signifikante Mobilisierungsreserve für eine Krise ist sinnvoll.

Grundprinzip 4: Aufbau von Ressourcenreserven und Redundanzen

Da der Bedarf an vielen Ressourcen in der Krise zunimmt, sind angemessene „Mobilisierungsreserven“ sinnvoll, also der Einsatz von Ressourcen (inklusive Personal), die in einer normalen „Nichtkrisenzeit“ anders eingesetzt werden, aber in Krisenzeiten zur Krisenbewältigung eingesetzt werden können (z.B. in Polizei, Militär, Technischem Hilfswerk oder Gesundheitswesen). Die Dimensionierung dieser Ressourcen nur auf den „Normalfall“ abzustellen, ist unzureichend.

Die redundante Auslegung kritischer Ressourcen und Systeme ist ergänzend geeignet, um dem möglichen Ausfall eines Systems zu begegnen (was auch der Reduzierung kritischer Abhängigkeiten dient). Redundanzen schaffen auch die erwähnten Kapazitätsreserven, die in Krisensituationen wichtig sind. Redundanzen können dabei einfach technischer Natur sein, wie z.B. der schon erwähnte Hybridantrieb bei Polizeiautos, um die Abhängigkeit von der Stromversorgung zu reduzieren.

Auch die Auslegung z.B. von Hochspannungsübertragungsnetzen für den Ausfall einzelner Komponenten, ist ein Ansatz für die Schaffung von Redundanz, ebenso wie die Sicherstellung der Versorgung mit Gas über (mehrere) Pipelines und zugleich Hafenterminals für LNG-Tankschiffe. Auch die Bereitstellung von Reserven für Kraftwerke für Strom oder von „Ausweichsitzen“ für Regierungsbehörden dient der Schaffung von Redundanz, die wiederum die Ausfallsicherheit von kritischen Systemen erhöht und im Krisenfall Zusatzkapazitäten verfügbar hält.

Grundprinzip 5: Ausreichende Vorräte an wichtigen Gütern

Krisen können entstehen, weil für einen Staat und seine Bürger wesentliche Güter nicht mehr in ausreichender Qualität oder Menge verfügbar sind (z.B. wegen Problemen aus kritischen Abhängigkeiten). Der Bedarf an manchen wichtigen Gütern steigt und zugleich kann das Angebot sinken. Vorräte schaffen Zeit, um bei einem Versorgungsengpass eine alternative Versorgungsquelle zu finden oder ausgefallene Produktionskapazitäten wieder zu errichten.

Gerade zur Bewältigung einer Vielzahl von Krisen ist ein oft massiv erhöhter Bedarf an bestimmten Gütern zu erwarten, die entsprechend für eine derartige Krisensituation schon vorab in adäquater Menge sicher bevorratet werden müssen. Neben Lebensmitteln und in manchen Krisen erforderlichen medizinischen Geräten und Verbrauchsgütern sind hier insbesondere die Energieträger (Öl, Benzin und Gas) zu nennen.

Grundprinzip 6: Hohe finanzielle Flexibilität und Bonität

Der Einsatz von Ressourcen, Gütern und Geld in einer Krise, z.B. die Beschaffung notwendiger Güter, die wirtschaftliche Stabilisierung von Banken oder anderen Unternehmen und die wirtschaftliche Absicherung von Bürgern erfordert Finanzmittel, die die laufenden Steuereinnahmen meist weit überschreiten.

Bankenkrisen lassen sich z.B. nur durch massiven Einsatz von Kapital und Bürgschaften lösen. Um diese in einer Krise aufbieten zu können, ist ein adäquater finanzieller Spielraum erforderlich, d.h. die Verschuldung vor der Krise sollte ein kritisches Level bezogen auf das Volkseinkommen nicht überschreiten.

Das Rating eines Unternehmens ist ein geeignetes Maß für diese „finanzielle Robustheit“. Für einen adäquaten finanziellen Handlungsspielraum in einer Krise benötigt ein Staat im Minimum ein Investmentgrade-Rating (BBB- oder besser), möglichst aber ein wirkliches „Top-Rating“ (AAA, AA). Auch der präventive Aufbau von Kapitalreserven, z.B. in Form eines Staatsfonds, und die Verfügbarkeit von Goldreserven ist hier ergänzend nützlich.

Grundprinzip 7: Aufbau von Brandmauern

Grundsätzlich für einen robusten Staat erforderlich ist es, dass er seine Außengrenze – auch an Flughäfen – gegenüber unwillkommenen, unbefugten eindringenden Personen schützen kann. Bei manchen Krisen ist es zudem notwendig, auch im Inneren des Staates „Brandmauern“ errichten und sichern zu können. Solche sind z.B. erforderlich, um beim Ausfall eines Teils des Stromnetzes zu verhindern, dass die Stromversorgung im gesamten Land zusammenbricht. Oder bei Epidemien, um bestimmte bereits infizierte Regionen so „abschotten“ zu können, dass eine Ausbreitung der Infektion auf andere Landesteile verhindert wird.

Grundprinzip 8: Robuste Rechtsordnung und Krisen-Governance

Krisen sind Situationen, in denen unter hohem Zeitdruck und mit unvollständigen Informationen schnell und oft über harte Maßnahmen entschieden werden muss. Entsprechend ist zu regeln, wer in welcher Konstellation Entscheidungsbefugnisse hat und welche „Eskalationsstufen“ unter bestimmten Bedingungen akzeptabel erscheinen.

In einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat ist es hier erforderlich, vor einer Krise präzise zu durchdenken und zu regeln, wie in einer Krisensituation eine Konzentration von Entscheidungsbefugnis, mit einer Reduzierung von Abstimmungsschleifen, vonstattengeht (ohne, dass dadurch in unangemessener Weise Rechte und Freiheiten der Bürger eingeschränkt oder Kontrollinstanzen grundsätzlich ausgehebelt werden). Die sogenannte „Notstandsverfassung“ im deutschen Grundgesetz ist ein Beispiel, wenngleich diese bisher nur auf einen spezifischen Krisentyp – Krieg – ausgerichtet ist.

Ein wichtiger Aspekt der Krisen-Governance besteht in Regelungen, die die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung selbst sichern. Gerade reale – oder auch einfach vorgegebene – Krisensituationen stellen nämlich eine Bedrohung für einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat dar, weil eine Krise potenziell missbraucht werden könnte: Es besteht die Gefahr, dass der freiheitliche Rechtsstaat unterhöhlt wird (durch die Einschränkung der Rechte Einzelner und die Konzentration der Macht auf Wenige).

Ein robuster Staat muss die Verfassung so formulieren, dass ein Machtmissbrauch durch Einzelne oder Gruppen oder gar eine Umwandlung in eine Diktatur möglichst unwahrscheinlich ist (z.B. durch Gewaltenteilung und Check-and-Balances-Regeln). Auch in einer Krise müssen geeignete parlamentarische Kontrollmechanismen existieren, die die Angemessenheit der Beschränkungen der Freiheit der Bürger sicherstellen und Machtmissbrauch verhindern.

Grundprinzip 9: Stabile Bündnisse und Partnerschaft

Kooperation und Bündnisse mit anderen Staaten, auf die man sich in einer Krise (weitgehend) verlassen kann, helfen potenziell die Robustheit zu verbessern. Kooperationsverträge, Bündnisse und der Beitritt zu Staatengemeinschaften, wie der EU, können nämlich helfen, im Fall einer Krise auf Unterstützung und Ressourcen anderer Staaten zugreifen zu können, was eine breitere Ressourcenbasis und eine internationale Risikostreuung ermöglicht. Die Wirksamkeit solcher Partnerschaften ist hoch, wenn nicht alle Partnerstaaten von einer Krise gleichzeitig betroffen sind.

In einer gravierenden Krisensituation kann nicht einfach davon ausgegangen werden, dass sich andere relevante Institutionen, speziell andere Staaten, so verhalten würden, als gäbe es keine Krise. Ein robuster Staat muss also im Rahmen seiner Risiko- und Krisenbewältigungsstrategie auch durchdenken, wie in bestimmten Krisentypen Partner und auch „Gegner“ reagieren könnten – und dies in der eigenen Krisenbewältigungsstrategie berücksichtigen. Kann man also z.B. tatsächlich auf die Unterstützung eines befreundeten Staates hoffen, wenn dieser selbst massiv von der Krise betroffen ist? Ist zu befürchten, dass ein anderer Staat die eigene Krise systematisch ausnutzt und z.B. unvorteilhafte Verträge durchsetzt.

Grundprinzip 10: Vermeidung größerer
Bürgschaften und Haftungsverbunde

Die Zusammenarbeit zwischen Staaten, speziell Staatenbündnisse, sind vorteilhaft für die Robustheit – sofern sie auch in einer Krise als belastbar angesehen werden. Die Robustheit eines Staates leidet jedoch, wenn hierdurch kritische Abhängigkeiten entstehen, insbesondere durch Risiko- oder Haftungsverbunde.

Entsprechend sollte die Haftung für Schulden Dritter, insbesondere anderer Staaten oder deren Institutionen (wie Kreditinstitute), ebenso wie die Haftung für gemeinsame Schulden vermieden werden. Insbesondere Schulden- und Finanzmarktkrisen anderer Staaten werden sonst leicht zu einem Problem für das eigene Land.

Aus der politischen Ökonomie ist zudem bekannt, dass die Bereitschaft eines Schuldners seine Schulden zu erhöhen, zunimmt, wenn dieser davon ausgehen kann, dass ein Dritter diese zumindest teilweise übernimmt und dafür haftet („Moral Hazard“).

Grundprinzip 11: Krisenvorbereitung durch Risikoanalysen,
Krisenpläne und Krisenübungen

Die Risikolage eines Staates und seiner Bürger ist komplex und ändert sich zudem im Zeitverlauf. Notwendig ist eine fundierte strukturierte und priorisierte (quantitative) Risikoanalyse und eine darauf aufbauende konkrete Risikobewältigungsstrategie, die die hier skizzierten Grundprinzipien nutzt, d.h. diese präzisiert und in konkrete Überlegungen und Maßnahmen umsetzt.

Neben einer grundsätzlichen Verbesserung der Robustheit ist dabei die Entwicklung konkreter Pläne für bestimmte Krisentypen sinnvoll („präventives Krisenmanagement“). Die Wirksamkeit solcher Krisenmanagement-Aktivitäten ist nur dann zu erwarten, wenn diese im adäquaten Umfang geschult und Krisen in Übungen trainiert werden.

Grundprinzip 12: Flexibilität und adäquate Krisenkommunikation

Hohe Flexibilität ist in einer Krise vorteilhaft, weil Krisen eine hohe Dynamik und unvorhergesehene Entwicklungen aufweisen werden. Flexibilität bedeutet, sich nicht alleine auf bestimmte – wenngleich wichtige – „Krisenpläne“ zu verlassen, weil der konkrete Ablauf einer risikobedingten Krise anders sein wird, als dies in der Planung gedacht war.

Flexibilität bedeutet z.B., dass schnell auf aktuelle Situationen reagiert werden kann, und dass z.B. auch personelle Ressourcen aus einem Tätigkeitsfeld (z.B. des Staates) bei Bedarf schnell auf einen anderen Tätigkeitsbedarf verschoben werden können (z.B. von Steuerwesen und allgemeiner Verwaltung in Transport- oder Gesundheitswesen). Es bedeutet auch, dass Vorschriften, wie z.B. Arbeitszeitregelungen oder Sicherheitsstandards temporär aufgehoben oder zumindest modifiziert werden können. Flexibilität setzt nicht nur klare Entscheidungskompetenzregelungen voraus, sondern zudem in vielen Fällen auch ein adäquates Maß an Schulung für einen Krisen- oder Notfall.

Neben Flexibilität des Krisenmanagements selbst ist auch eine schnelle und flexibel an die aktuelle Situation angepasste Kommunikation mit den Bürgern wesentlich und adäquat vorzubereiten. In einer Krise ist im Allgemeinen weder Panik noch Sorglosigkeit bei den Bürgern angemessen, Maßnahmen der Regierung sind zu erläutern und das Vertrauen in die Aussage der staatlichen Stellen zu sichern (also nicht einfach beschönigen, wo die unschöne Realität der Krise schnell offenkundig werden wird).

Fazit und Implikationen

Die hier skizzierten Leitlinien für einen robusten Staat zeigen das Grundgerüst, das bei der Diskussion zur Verbesserung der Robustheit (oder Resilienz) eines Staates – auf dem Weg zum Angebot einer adäquaten Sicherheit für seine Bürger – zu durchdenken ist. Sie bieten auch einen Rahmen dafür, die aktuelle Robustheit eines Staates zu beurteilen und systematisch Handlungsbedarf aufzuzeigen. Dies erscheint insbesondere deshalb wichtig, da die allgemeine politische Diskussion eben doch primär von eher kurzfristigen „Modethemen“ geprägt ist und wesentliche Risiken verdrängt werden.

Die hier skizzierten Aspekte haben grundlegende Bedeutung für einen Staat und sollten losgelöst vom politischen Tagesgeschäft zentraler Aspekt der Agenda eines Politikers sein, der sich tatsächlich als „Staatsmann“ sieht. Die politische Ökonomie (Public Choice) zeigt bedauerlicherweise, dass Maßnahmen zur Steigerung der Robustheit eines Staates in einer Demokratie nicht unbedingt mehr Wählerstimmen bringen. Viele bedeutende Risiken sowie potenzielle Krisen und Katastrophen, die Anfälligkeit kritischer Infrastruktur oder Pandemien, werden systematisch unterschätzt.

Die sofort anfallenden Kosten für bestimmte Maßnahmen zur Stärkung der Robustheit – z.B. die adäquate Ausstattung der Streitkräfte oder des Gesundheitswesens – sind sofort offenkundig. Die gravierenden Schäden, wenn diese Investitionen nicht getätigt werden, liegen aber in einer unsicheren und möglicherweise sogar ferneren Zukunft.

Für die Zukunftsfähigkeit eines Staates, und insbesondere die Fähigkeit zum Schutz seiner Bürger und Unternehmen, ist es entsprechend entscheidend, ob die hier skizzierten Leitgedanken – Verbesserung der Robustheit – mit adäquater Priorität auf der politischen Agenda Berücksichtigung finden.

Wenn erst eine gravierende Krise eingetreten ist, müssen sich der Staat und seine Bürger mit dem abfinden, was an Prävention und Krisenrobustheit bereits erreicht wurde. Leider steht zu befürchten, dass man oft feststellen wird, dass zu wenig getan wurde – so dass man dann eine Krise nur noch als Chance auffassen kann, wenigstens aus dieser Erfahrung zu lernen und die Robustheit des Staates danach konsequent verbessert wird.

Autor

Prof. Dr. Werner Gleißner
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Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
23. Jahrgang (2020), Ausgabe 4 (April)

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Letzte Aktualisierung: Freitag, 19. April 2024

       

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