Ein Spin-Off der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
27. Jahrgang (2024) - Ausgabe 10 (Oktober) - ISSN 1619-2389
 

Elchtest der A-Klassen

  Rezension von Frank Roselieb

Am 21. Oktober 1997 ist ein Fahrzeug vom Typ "A-Klasse" der Mercedes-Benz AG bei einem Ausweichtest in Schweden auf sein Dach gekippt. Das Unternehmen hat dieses Ereignis völlig unvorbereitet getroffen. Durch den (nicht bestandenen) "Elch-Test" geriet der Daimler-Benz-Konzern in die Gefahr, in seinen Kernkompetenzen - Qualität, Zuverlässigkeit und Sicherheit - erschüttert zu werden. Zwar wurde die Krise um die A-Klasse insgesamt erfolgreich gemeistert. Gleichwohl zeigen die Ereignisse, wie schnell auch ein recht renommiertes Unternehmen und ein im Vorfeld hochgelobtes Produkt in eine schwierige Situation kommen können.

An dieser Stelle setzt die Schrift von Armin Töpfer an. Auf 265 Seiten analysiert der Betriebswirtschafts-Professor von der Technischen Universität Dresden die Ereignisse um die A-Klasse - von der Produktentwicklung über die Markteinführung bis zum Krisenmanagement. Möglich wurde die Untersuchung durch die sehr lobenswerte Kooperationsbereitschaft der Daimler-Benz AG. Das Unternehmen hat dem Autor umfangreiches Material zur A-Klasse zur Verfügung gestellt und außerdem Interviews mit Vorstandsmitgliedern und Führungskräften verschiedener Bereiche ermöglicht (Seite VI und 77).

  • Das Buch gliedert sich in acht Kapitel. Im ersten Kapitel stellt Töpfer den Ablauf der Krise detailliert dar. In 26 Meilensteinen schildert er die Chronologie der Ereignisse von den ersten Problemen mit der A-Klasse beim Fahrtest in Dänemark Ende September 1997 bis zum Wiederbeginn der Auslieferung Ende Februar 1998 (Seite 23). Deutlich wird durch die sehr faktenreiche Darstellung vor allem eines: Zwar hat der Konzern hinter den Kulissen - unmittelbar nach den ersten Krisenmeldungen - umfangreiche Krisenbewältigungsmaßnahmen eingeleitet, dennoch wurde hierüber zu wenig kommuniziert. Für die Öffentlichkeit entstand daher der Eindruck, daß die Unternehmensleitung keinen Grund für eine nachhaltige Reaktion sah und Krisenmanagement - zumindest nach außen hin - nicht stattfand (Seite 8).
  • Das zweite Kapitel widmet sich der Presseresonanz und den Imageprofilen zur A-Klasse. Insgesamt wurden vom Verfasser - nach eigenen Angaben - 1.365 Presseartikel gelesen und ausgewertet. Diese spiegeln die Presseresonanz in der Zeit vom 1. August 1997 bis zum 31. März 1998 wider (Seite 30). Da Presseberichte üblicherweise meinungsbildend wirken, finden sie ihren Niederschlag in der Regel auch im Image des Unternehmens, seiner Produke und seiner Führungskräfte. Folgerichtig untersucht Töpfer alle 1.365 Artikel auf positive, neutrale oder negative imageprägende Aussagen (Seite 66). Im Ergebnis erhält er jeweils ein "Meinungsbarometer" für die A-Klasse und für die Daimler-Benz AG sowie für die beiden Vorstandsmitglieder Jürgen E. Schrempp und Jürgen Hubbert (Seite 67). Leider gibt Töpfer nur für 144 seiner Presseartikel die Quellenangaben an (Seite 31 bis 65). Für rund 90 Prozent der knapp 1.400 Presseartikel bleibt dem Leser somit eine kritische Prüfung dieser Fleißarbeit verwehrt.
  • Im dritten Kapitel führt der Autor in das Kernthema seines Buches ein und erläutert - eher theoretisch - die plötzliche Krise als Nagelprobe für das Unternehmen. Zunächst verdeutlicht Töpfer - im "Untersuchungsdesign" - den Aufbau und die Zielsetzung seiner Schrift (Seite 79). Anschließend gibt er - im "Forschungsdesign" - einen Überblick über die zu analysierenden Gegenstandsbereiche der A-Klasse (Seite 82). Hierzu zählen beispielsweise Forschung und Entwicklung, Markteinführung, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Abschließend widmet sich der Autor den Kennzeichen von plötzlichen Unternehmenskrisen und gibt Hinweise für deren erfolgreiche Bewältigung (Seite 84). Leider sind insbesondere die Darstellungen zum Untersuchungs- und Forschungsdesign eindeutig zu lang geraten und kommen für den unbedarften Leser zu spät. Diese Erläuterungen hätte er sich eher zu Beginn des Buches gewünscht.
  • Das vierte Kapitel befaßt sich mit der Positionierung und Markteinführung sowie mit dem Werbekonzept der A-Klasse. Die Inhalte erstrecken sich zwar weitgehend auf die Zeit vor dem Krisenfall. Dennoch sind sie zum besseren Verständnis der Krisensituation außerordentlich hilfreich. Deutlich wird insbesondere, daß die A-Klasse sowohl im Portfolio von Mercedes-Benz, als auch im Automobilmarkt eine Sonderstellung einnimmt (Seite 91) und die Werbekampagne mit einem Budget von rund 200 Millionen Mark eine außergewöhnliche Dimension angenommen hat (Seite 117). Insgesamt ist Töpfer in diesem Kapitel eine recht umfassende und sehr sachkundige Darstellung gelungen. Die zahlreichen Werbeanzeigen machen seine Ausführungen gut nachvollziehbar. Auch den Schlußfolgerungen des Autors ist uneingeschränkt zuzustimmen, wonach nicht zuletzt die aufwendige Werbekampagne zur sehr emotionalen Wahrnehmung des Krisenfalls geführt hat (Seite 108).
  • Im Mittelpunkt des fünften Kapitels stehen der Entwicklungsprozeß der A-Klasse sowie der (zunächst) nicht bestandene Elch-Test. Im Kern möchte Töpfer damit die Frage beantworten, ob die Ursachen für den nicht bestandenen Elch-Test möglicherweise im veränderten Entwicklungsprozeß und in der relativ kurzen Entwicklungszeit der A-Klasse zu suchen sind (Seite 123). Gekonnt verdeutlicht der Autor den Spagat, den das Unternehmen beim Elch-Test machen mußte. Einerseits ist dieser Sicherheitstest - aufgrund des starken Einflusses durch den Fahrstil des Fahres - nur schwer objektivierbar (Seite 132). Andererseits muß ein Automobilhersteller mit seinen Produkten den Elch-Test auch dann bestehen, wenn dieser Test von der Öffentlichkeit gefordert und für eine Kaufentscheidung zugrunde gelegt wird (Seite 133).
  • Im sechsten Kapitel stellt Töpfer die Krisenverlaufs-Matrix dar. Unterschieden wird dabei zwischen fünf verschiedenen Ebenen und fünf unterschiedlichen Phasen des Krisenverlaufs (Seite 145). Diese sollen insbesondere die starke inhaltliche und prozeßbezogene Verzahnung von Krisenmanagement und Krisenkommunikation zum Ausdruck bringen. Nicht ganz schlüssig sind die allgemeinen Empfehlungen, die der Autor gibt. So fordert er beispielsweise, daß "sichergestellt werden muß, daß das Auftreten des obersten Managers eines Unternehmens nicht damit verbunden ist, daß er von den Medien hart attackiert wird oder daß er nur Maßnahmen verkünden kann, die für die Zielgruppen oder die Öffentlichkeit nachteilig sind" (Seite 147). Fraglich bleibt, wie der Autor diese Idealkonstellation in der konkreten Krisensituation gewährleisten will. Auch die von Töpfer gewählte Phaseneinteilung ist nicht ganz unstrittig. So gehört für ihn das Issue Management zur Krisenprävention, obwohl es im allgemeinen eher der Krisenfrüherkennung zuzuordnen ist (Seite 148)
  • Das siebente Kapitel ist mit knapp 90 Seiten nicht nur der umfangreichste, sondern auch der inhaltlich zentrale Abschnitt des Buches. Zunächst geht Töpfer auf den abweichenden Phasenverlauf der Krise um die A-Klasse ein (Seite 157). Anschließend greift er sich einzelne Themenkomplexe heraus, um sie anhand der Krisenverlaufs-Matrix im Detail zu analysieren. Hierzu zählen beispielsweise die eingesetzte Task Force zur Krisenbewältigung, die Kommunikation mit den Medien, die Imagewirkungen und die Stellung des Vorstandes (Seite 163). Insgesamt gelingt Töpfer in diesem zentralen Abschnitt eine recht umfassende und fundierte Darstellung. Insbesondere im Kapitel über die Imagewirkungen spielt Töpfer seine Stärken als Marketing-Professor voll aus (Seite 190 bis 207). Bevor der Autor im letzten Abschnitt dieses Kapitels auf die Verbesserungen in der Krisenvorsorge eingeht (Seite 239), überführt er seine verbalen Ausführungen in eine quantifizierende Bewertung, um einen Vergleich mit anderen Krisenfällen zu ermöglichen. Im Ergebnis erhält er ein "Wasserstandsmodell" der Krisenbewältigung und ein "Radar" des Krisenmanagements (Seite 236 und 238). Zwar wirken die Darstellungen von Töpfer optisch recht anschaulich, halten aber wissenschaftlichen Standards kaum Stand. Einerseits gibt der Autor keine Angaben zu den Personen, die die Bewertung durchgeführt haben. Andererseits lobt er zwar die Vergleichsmöglichkeit seiner Darstellung mit anderen Krisenfällen (Seite 235), bleibt aber - zumindest in der vorliegenden Schrift - den konkreten Vergleich mit anderen Fällen schuldig.
  • Im achten Kapitel zieht Töpfer abschließende Schlußfolgerungen aus der Krise um die A-Klasse. Unter der Überschrift "Krisenvorsorge vor oder nach einer Krise" kommt er zu dem Ergebnis, daß es sich - angesichts des heutigen Wettbewerbsdrucks - kaum noch ein Unternehmen leisten kann, auf eine eingetretene Krise nur mit Improvisationen und kurzfristigen Reaktionen zu antworten. Stattdessen empfiehlt er, gravierende Krisenpotentiale frühzeitig aufzuspüren, Krisen gedanklich vorwegzunehmen und - wenn möglich - durch geeignete Vorsorgemaßnahmen gar nicht erst auftreten zu lassen (Seite 249).

Abgeschlossen wird die Schrift durch ein Literaturverzeichnis mit 78 meist populärwissenschaftlichen Quellen, die recht umfangreiche Kurzbiographie des Autors sowie ein mehrseitiges Stichwortverzeichnis.

Insgesamt bietet das Buch von Töpfer einen spannenden und sicherlich nicht alltäglichen Einblick in das Innenleben eines Unternehmens in einer schwierigen Situation. Der Wert für den Leser ergibt sich insbesondere aus drei Einsichten des Autors: Erstens wird die Wichtigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Unternehmensbereiche in Krisenzeiten abermals unterstrichen (Seite 172). Zweitens verdeutlicht der Fall "A-Klasse", daß schon bei der Entwicklung eines Produktes spätere Krisen eingeplant werden müssen (Seite 240). Drittens kann Töpfer erneut beweisen, daß der PR-Grundsatz "Tue Gutes und rede darüber" auch in Krisenzeiten nicht zu unterschätzen ist (Seite 6).

Der Lesefluß wird allerdings durch die zum Teil langatmigen Einführungen zu Beginn der Abschnitte gestört (beispielsweise Seite 162). Auch zusammenfassende Handlungsempfehlungen - beispielsweise in Form von Checklisten - am Ende der jeweiligen Abschnitte sucht der eilige Leser leider vergeblich. Gleichwohl sei das Buch insbesondere Unternehmenspraktikern und Unternehmensberatern in den Bereichen Strategische Planung, Unternehmenskommunikation/PR sowie Forschung und Entwicklung ausdrücklich zur Lektüre empfohlen.

Armin Töpfer,
Die A-Klasse: Elchtest, Krisenmanagement,
Kommunikationsstrategie,
Luchterhand-Verlag, Neuwied, Kriftel, 1999,
265 Seiten, EUR 24.00,
ISBN 3-472-03799-7

Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
3. Jahrgang (2000), Ausgabe 5 (Mai)


Vervielfältigung und Verbreitung - auch auszugsweise - nur mit ausdrücklicher
schriftlicher Genehmigung des Krisennavigator - Institut für Krisenforschung, Kiel.
© Krisennavigator 1998-2024. Alle Rechte vorbehalten. ISSN 1619-2389.
Internet:
www.krisennavigator.de | E-Mail: poststelle@ifk-kiel.de

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Am 21. Oktober 1997 ist ein Fahrzeug vom Typ "A-Klasse" der Mercedes-Benz AG bei einem Ausweichtest in Schweden auf sein Dach gekippt. Das Unternehmen hat dieses Ereignis völlig unvorbereitet getroffen. Durch den (nicht bestandenen) "Elch-Test" geriet der Daimler-Benz-Konzern in die Gefahr, in seinen Kernkompetenzen - Qualität, Zuverlässigkeit und Sicherheit - erschüttert zu werden. Zwar wurde die Krise um die A-Klasse insgesamt erfolgreich gemeistert. Gleichwohl zeigen die Ereignisse, wie schnell auch ein recht renommiertes Unternehmen und ein im Vorfeld hochgelobtes Produkt in eine schwierige Situation kommen können.

An dieser Stelle setzt die Schrift von Armin Töpfer an. Auf 265 Seiten analysiert der Betriebswirtschafts-Professor von der Technischen Universität Dresden die Ereignisse um die A-Klasse - von der Produktentwicklung über die Markteinführung bis zum Krisenmanagement. Möglich wurde die Untersuchung durch die sehr lobenswerte Kooperationsbereitschaft der Daimler-Benz AG. Das Unternehmen hat dem Autor umfangreiches Material zur A-Klasse zur Verfügung gestellt und außerdem Interviews mit Vorstandsmitgliedern und Führungskräften verschiedener Bereiche ermöglicht (Seite VI und 77).

Abgeschlossen wird die Schrift durch ein Literaturverzeichnis mit 78 meist populärwissenschaftlichen Quellen, die recht umfangreiche Kurzbiographie des Autors sowie ein mehrseitiges Stichwortverzeichnis.

Insgesamt bietet das Buch von Töpfer einen spannenden und sicherlich nicht alltäglichen Einblick in das Innenleben eines Unternehmens in einer schwierigen Situation. Der Wert für den Leser ergibt sich insbesondere aus drei Einsichten des Autors: Erstens wird die Wichtigkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Unternehmensbereiche in Krisenzeiten abermals unterstrichen (Seite 172). Zweitens verdeutlicht der Fall "A-Klasse", daß schon bei der Entwicklung eines Produktes spätere Krisen eingeplant werden müssen (Seite 240). Drittens kann Töpfer erneut beweisen, daß der PR-Grundsatz "Tue Gutes und rede darüber" auch in Krisenzeiten nicht zu unterschätzen ist (Seite 6).

Der Lesefluß wird allerdings durch die zum Teil langatmigen Einführungen zu Beginn der Abschnitte gestört (beispielsweise Seite 162). Auch zusammenfassende Handlungsempfehlungen - beispielsweise in Form von Checklisten - am Ende der jeweiligen Abschnitte sucht der eilige Leser leider vergeblich. Gleichwohl sei das Buch insbesondere Unternehmenspraktikern und Unternehmensberatern in den Bereichen Strategische Planung, Unternehmenskommunikation/PR sowie Forschung und Entwicklung ausdrücklich zur Lektüre empfohlen.

Armin Töpfer,
Die A-Klasse: Elchtest, Krisenmanagement,
Kommunikationsstrategie,
Luchterhand-Verlag, Neuwied, Kriftel, 1999,
265 Seiten, EUR 24.00,
ISBN 3-472-03799-7

Erstveröffentlichung im Krisennavigator (ISSN 1619-2389):
3. Jahrgang (2000), Ausgabe 5 (Mai)

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